Allein leben?

Allein leben?

Vorbemerkung
Anspiele sind kurze Szenen, in denen leicht verständliche Alltagssituationen wiedergegeben werden, die zum Nachdenken oder zum Gespräch in Gruppen anregen können.

Allein leben? - Schach und Matt
© Gisela Baltes

Situation:
Hanni, eine überzeugte „Familienfrau“, redet mit ihrer Bekannten Sonja über deren Leben als alleinstehende Frau.

 

Hanni: Also nein, Sonja, wie du lebst. Das könnte ich nicht lange durchhalten.

Sonja: Aber wieso denn. Ich lebe doch ganz gesund. Ich hab ausreichend Schlaf. Ich ernähre mich sehr bewusst. Ich treibe regelmäßig Sport. Ich rauche nicht. Gut, manchmal trinke ich ein Gläschen Wein. Aber meinst du wirklich, dass das so schädlich ist?

Hanni: Aber das meine ich doch nicht. Ich meine, so allein wie du lebst.

Sonja: Was soll denn daran so schlimm sein.

Hanni: Also man braucht doch jemanden, mit dem man reden kann.

Sonja: Tu ich den ganzen Tag im Büro.

Hanni: Aber wenn du dann nach Hause kommst.

Sonja: Dann bin ich froh, wenn ich meine Ruhe habe.

Hanni: Und wenn du mal echte Probleme mit jemandem besprechen musst?

Sonja: Liebe Hanni, ich leb schließlich nicht allein auf einer einsamen Insel. Ich hab durchaus Freunde und Bekannte, mit denen ich mich regelmäßig treffe. Und mit dem einen oder der anderen von denen hab ich auch ein so gutes Verhältnis, dass ich mit denen auch mal Probleme besprechen könnte.

Hanni: Na ja gut, mag ja sein, dass du viele Bekannte hast. Aber du bist bestimmt nicht jeden Abend mit denen zusammen. Und dann sitzt du da einsam und allein zu Hause vor dem Fernseher.

Sonja: Eigentlich lese ich lieber. Oder ich höre Musik. Und wenn ich mal fernsehe, dann kann ich immerhin selbst bestimmen, welches Programm ich sehen will und werde nicht dauernd auf wilde Ritte durch sämtliche Programme geschickt.

Hanni: Und wenn du mal ins Theater oder ins Konzert willst ...

Sonja: ... lassen die mich durchaus auch ohne Begleitung rein.

Hanni: Du bist ein hoffnungsloser Fall. Du magst zwar über mich lächeln. Aber ich kann mir ein Leben ohne meine Familie überhaupt nicht vorstellen.

Sonja: Weißt du was, ich lade dich mal zu meinem nächsten Geburtstag ein. Dann wirst du sehen, dass ich durchaus Familie habe: Meine Mutter, meine beiden Schwestern mit ihren Männern und Kindern. Ich habe - nicht so wie du - meine Familie ständig um mich herum. Aber ich bin häufig mit ihnen zusammen und fühle mich ihnen sehr verbunden.

Hanni: Möchtest du denn gar keine eigenen Kinder haben? Wo du so wild auf Kinder bist.

Sonja: Man kann nicht alles haben. Aber ich unternehme eine Menge mit meinen Neffen und Nichten.

Hanni: Das ist aber was anderes, als ständig mit deiner Familie zusammenzuleben. Vermisst du denn gar nicht das Gefühl, für jemanden sorgen zu dürfen, gebraucht zu werden?

Sonja: O nein, bitte nicht dieses Argument! Was du meinst ist, jemanden bedienen zu dürfen. Ich habe drei Jahre mit einem Freund zusammengelebt. Mein Bedarf an Gebrauchtwerden ist fürs erste gedeckt.

Hanni: Ja, wenn du da so einen Pascha hattest.

Sonja: Durchaus nicht. Der Knabe war einfach entsetzlich ungeschickt. Hochintelligent, aber nicht mal fähig, einen Nagel in die Wand zu schlagen. Bis ich dem mal beigebracht hatte, wie man Hemden bügelt!

Hanni: Hat er das tatsächlich gemacht?

Sonja: Na ja, allzu viel Gebrauch hat der von seinen mühsam erworbenen Kenntnissen nicht gemacht. Er lief halt immer ziemlich zerknittert rum.

Hanni: Das muss dir doch schrecklich peinlich gewesen sein, weil das doch schließlich auf dich zurückfiel.

Sonja: Ich weiß. Es erfüllt einen so richtig mit Stolz, wenn der Mann so adrett mit messerscharfen Hosenfalten und einem frisch gebügeltem Hemd rumläuft.

Hanni: Ja, finde ich auch!

Sonja: Ich überhaupt nicht! Glaubst du tatsächlich diesen Schwachsinn?

Hanni: Ich hab nicht gedacht, dass du so gemein sein kannst.

Sonja: Tut mir leid. Ich wollte dich nicht beleidigen. Aber ich kann einfach diesen Hausfrauenstolz nicht nachvollziehen.

Hanni: Ach tu doch nicht so emanzipiert. Macht es dir denn auch gar nichts aus, wenn du Nacht für Nacht allein in deinem Bett liegst.

Sonja: Ich schlafe aber viel besser, seit der Bert nicht mehr neben mir schnarcht.

Hanni: Du weißt genau, was ich meine.

Sonja: Hanni, Hanni, was du alles wissen willst!

Hanni: Na gut, lassen wir das. Aber gibt es denn wirklich gar nichts, wo du einen Partner vermisst?

Sonja: Lass mal überlegen? Na ja, zugegeben, manchmal wär’s schon schön, einen Partner zu haben. Weißt du, ich spiele nämlich höchst ungern immer bloß gegen den Computer Schach.
 

Denkanstöße
 

An meine männlichen Leser:
Gerade in der zweiten Hälfte des Textes ist nicht zu übersehen, dass dieses Anspiel ursprünglich für Frauen geschrieben wurde. Schmunzeln Sie einfach darüber. Und mit ein bisschen Phantasie fallen Ihnen da vielleicht auch "männlichere" Beispiele ein. Da Alleinleben aber durchaus auch für Männer ein relevantes Thema ist, habe ich versucht, die Denkanstöße neutral zu formulieren.

 

Es gibt viele Gründe, allein zu leben. Die einen haben keinen Partner gefunden, andere sind geschieden oder verwitwet oder leben zeitweilig getrennt. Daneben gibt es aber auch viele Menschen, die sich ganz bewusst für diese Lebensform entschieden haben und nicht etwa, weil sie „keine/n mitgekriegt“ oder ihren Partner verloren haben. Das ist für andere, besonders ältere, im traditionellen Denken aufgewachsene Mitmenschen, die ihre Erfüllung allein in Partnerschaft, Ehe und Familie finden zu können glauben, manchmal schwer nachvollziehbar.

Durch Unglück, Tod, Verlassenwerden, Scheidung kann jede/r plötzlich vor die Situation gestellt werden, allein leben zu müssen. Gerade deshalb mag es auch für die Menschen, die in einer glücklichen Partnerschaft leben, sinnvoll sein, über das Alleinsein nachzudenken.
Daneben ist es für jede/n wichtig, Zonen des Alleinseins mit sich selbst in den Tag einzuplanen. Die Zeit, die wir mit uns selbst verbringen, ist für unsere seelische Gesundheit notwendig. Und doch haben viele Angst davor, allein zu sein und flüchten sich in Arbeit, Fernsehen, Geselligkeit. Vielleicht schrecken wir davor zurück, in uns selbst hinein zu horchen, weil wir fürchten, daß dort nichts ist als Leere und Langeweile.

  • Was unternehmen Sie mit oder ohne Partner/in?
  • Welche Freundschaften pflegen Sie regelmäßig?
  • Mit welchen Familiemitgliedern pflegen Sie regen Kontakt?
  • Wie verbringen Sie Ihre freie Zeit?
  • Wieviel Zeit nehmen Sie sich jeden Tag für sich selbst?