Jugend von heute - Kann Ali bei uns wohnen?
© Gisela Baltes (1997)
Situation: Gespräch zwischen Mutter und Sohn. Der Sohn ist gerade dabei, sein Zimmer umzuräumen. Seine Mutter kommt herein und beginnt ein Gespräch.
Mutter: Du hör mal, der Christoph von meiner Freundin Inge, der macht da bei so einer Ausländerinitiative mit.
Sohn: Wie schön für ihn!
Mutter: Was Besseres fällt dir dazu wohl nicht ein?
Sohn: Was erwartest du von mir? Daß ich sage: Au fein, ob der mich wohl mal mitnimmt und ich da auch mitmachen darf?
Mutter: So wie du das sagst, klingt das ziemlich blöd.
Sohn: Aber irgendwas in der Richtung hast du doch gemeint.
Mutter: Ja, eigentlich schon. Ich finde, du könntest dich auch mal ein bißchen mehr für andere Menschen einsetzen. Wir versuchen das doch auch. Der Papa ist im Kirchenvorstand und ehrenamtlich beim Roten Kreuz. Und ich bin dauernd für die Caritas und die kfd unterwegs.
Sohn: Na bitte, damit tut unsere Familie doch schon reichlich viel für die Menschheit.
Mutter: Wenn wir uns für andere einsetzen, dann ist das doch keine Entschuldigung für dich, daß du überhaupt nichts tust.
Sohn: Ich bin halt nicht so edel und selbstlos wie ihr.
Mutter: Du machst dir das wirklich sehr einfach. Wenn's um deinen Sport geht, dann setzt du dich wer weiß wie ein. Dann hast du immer Zeit. Da geht's ja auch um deine eigenen Interessen. Aber du willst einfach nicht einsehen, daß man auch mal was für andere tun muß, denen es nicht so gut geht wie dir. Hast du denn gar keine Ideale - gerade als junger Mensch! Da waren wir früher doch anders.
Sohn: Geht das schon wieder los!
Mutter: Ach, was rede ich mir hier eigentlich den Mund fusselig. Das ist ja doch für die Katz. Mit dir kann man wirklich nicht reden! - Aber was hast du eigentlich hier in deinem Zimmer veranstaltet?
Sohn: O nein, das nicht jetzt auch noch! Das hab ich erst vorgestern sauber gemacht.
Mutter: Nein, das mein ich ja gar nicht. Aber warum hast du dein Bett da so in die Ecke geschoben. Dahinten ist jetzt alles so gequetscht, daß du kaum noch an deinen Schreibtisch kannst. Und hier vorne ist alles frei. Das sieht aber wirklich nicht besonders aus.
Sohn: Ach, da vorne soll unser Gästebett aus dem Keller hin.
Mutter: Unser Gästebett? Wozu um alles in der Welt brauchst du ein zweites Bett in deinem Zimmer?
Sohn: Ja, das ist so. Du kennst doch den Ali Üszgür, der mit mir zusammen im Mathekurs ist. Bei dem zu Hause kann man einfach nicht lernen. Die haben bloß drei Zimmer für sieben Leute. Tagsüber nerven ihn seine kleine Geschwister. Und abends hat sein Vater in dem einzigen Raum, wo ein gescheiter Tisch zum Arbeiten ist, bis in die Nacht lautstark die Kiste an. So packt der Ali seine Prüfungen nie. Und da hab ich gedacht, der könnte erstmal hier bei mir wohnen. - Das heißt, wenn ihr nichts dagegen habt.
Denkanstöße
Dieses Anspiel entstand 1997. Aber es passt heute wie damals.
Den Seufzer über „die Jugend von heute“ gab es wohl zu allen Zeiten. Und wenn dann die damalige „Jugend von heute“ zu den „Erwachsenen von heute“ gehört, war doch das alles früher gar nichts im Vergleich zur Gegenwart.
Verrückt gekleidete und frisierte junge Leute mögen heute manchen zum Kopfschütteln veranlassen, ebenso ihr unbekümmertes selbstbewusstes Auftreten, das die „Achtung vor dem Alter“, vermissen lässt. Das mag man noch hinnehmen. Als besorgniserregend dagegen ist die zunehmende Gewalt unter Kindern und Jugendlichen zu werten. Dazu gehören auch Ausschreitungen Jugendlicher gegen Ausländer oder soziale Randgruppen.
Da solche Ereignisse durch die Medien gehen, prägen sie sich besonders ein. Zu kurz kommt dabei das Gros der ganz „normalen“ Jugendlichen, die nicht besser und nicht schlechter sind als die Jugendlichen anderer Zeiten. Gerade was die Ausländerfeindlichkeit angeht, findet man im Gegensatz zu dem durch die Medien verbreiteten Image gerade bei Jugendlichen nicht selten ein viel unkomplizierteres Verhältnis zu Menschen anderer Völker als bei vielen Erwachsenen. Davon können auch Eltern manchmal noch lernen.
Welche der folgenden Aussagen teile ich:
- Die Jugend von heute ist schlechter als früher.
- Ich kenne viele Jugendliche, die ganz vernünftige Ansichten haben.
- Die Jugendlichen heute machen mir Angst.
- Ich kenne sehr viele nette Jugendliche.
- Ich habe viele schlechte Erfahrungen mit Jugendlichen gemacht.
- Die Jugend von heute ist gewalttätig.
- Die Jugend von heute ist ausländerfeindlich.
- Unsere Jugendlichen haben weniger Vorurteile als Erwachsene.
- Die Jugendlichen heute sind sehr hilfsbereit.
- Die Jugendlichen sind heutzutage sehr unverschämt.
Im Anschluss an dieses Anspiel ließe sich auch über die Flüchtlings- und Ausländerproblematik nachdenken.
Denkanstöße dazu später bei einem anderen Anspiel.