Das ist Liebe
© Gisela Baltes
Seit Tagen sprach Bettina von nichts anderem als von i h m . Jeder zweite Satz begann mit "Bernd hat gesagt ..." oder "Bernd meint ...." oder "Bernd macht..." Offenbar war ihr Bernd ein Ausbund an Klugheit. Und aus den zahlreichen Bemerkungen über sein Aussehen, die sie zwischendurch beiläufig fallen ließ, schlossen wir, dass Bernd außerdem noch ein wahrer Adonis sein musste. Natürlich waren wir begierig, dieses einmalige männliche Exemplar endlich kennen zu lernen.
Dann kam der große Tag, an dem sie uns endlich ihren neuen Freund vorstellen wollte. Erwartungsfroh fanden wir uns kurz vor der vereinbarten Zeit im Wohnzimmer ein und harrten der Ankunft des Gastes. Es klingelte pünktlich und Bettina eilte mit hochroten Wangen zur Tür. Dann führte sie stolz einen linkischen jungen Mann in einem zerknitterten Anzug herein, der verlegen am Papier eines Blumenstraußes herumnestelte. Gebannt schauten wir zu, wie er das Papier schließlich mit einiger Mühe abriss, worauf ein etwas zerdrückter Strauß Tulpen zum Vorschein kam. Die Tulpen in der einen, das zerknüllte Papier in der anderen Hand machte er eine schiefe Verbeugung vor unserer Mutter, konnte aber ihre dargebotene Hand nicht ergreifen, da er beide Hände voll hatte. Mutter hatte ein Einsehen, nahm ihm zuerst den Strauß, dann das Papier aus der Hand, legte beides auf den Tisch und begrüßte ihn herzlich. Wir taten es ihr nach.
Eine quälende halbe Stunde lang grasten wir sämtliche möglichen Themen ab. Aber viel war aus Bettinas Bernd nicht heraus zu bekommen. Wir alle atmeten erleichtert auf, als die beiden sich verabschiedeten, weil sie noch gemeinsam etwas vorhatten. "Ist er nicht süß, mein Bernd?" fragte Bettina uns triumphierend am nächsten Tag.
Das ist nun sieben Jahre her. Seit einiger Zeit spricht Bettina wieder von nichts anderem als von i h m. "Benni hat gesagt ..." oder "Benni meint ...." oder "Benni macht..."
Denn Benni ist das netteste, gescheiteste und hübscheste Kind, das man sich denken kann - meinen jedenfalls Bettina und Bernd.
Denkanstoß
"Liebe macht blind" sagt der Volksmund. Aber stimmt das wirklich? Ist es nicht so, dass Liebe uns einen ganz besonderen Blick auf den geliebten Menschen gewährt, dass wir in ihm sehen, was sonst niemand sieht. Und wie gut tut es uns, wenn solch ein liebevoller Blick auf uns ruht. Er macht uns glücklich und lässt uns aufblühen..
Viel zu selten machen wir uns bewusst, dass wir immer schon von Gott mit solch einem liebevollen Blick betrachtet werden.