Laura hat Liebeskummer

Laura hat Liebeskummer

Kleine Anmerkung:
Zwar erzähle ich gern in der Ich-Form. Meine Geschichten sind deshalb aber nicht biografisch zu verstehen.

Laura hat Liebeskummer
© Gisela Baltes

Wenn Laura Liebeskummer hatte, litt stets die ganze Familie mit. Aber so schlimm wie diesmal war es noch nie gewesen. Darüber waren alle sich einig.

Laura verließ ihr Zimmer nur, um zum Essen oder zur Toilette zu gehen. Jedem, der sie auf diesen Wegen anzusprechen wagte, blieb angesichts ihrer Leidensmiene das Wort im Halse stecken.

Jens, der Verursacher ihrer Seelenqualen, rief pausenlos an. Aber sie ließ sich immer verleugnen. Alle rätselten, was er ihr wohl Schreckliches angetan hatte. Aber gar so schrecklich musste das nicht einmal gewesen sein. Sie wussten ja alle, dass Laura manchmal reichlich zickig sein konnte. Und dann war mit ihr nicht gut Kirschen essen.

Beim Mittagessen versuchte Katrin, die gedrückte Stimmung ein wenig aufzulockern und begann zu erzählen, was der total abgedrehte Ralf aus ihrer Klasse sich heute schon wieder geleistet hatte. Aber ein vernichtender Blick ihrer leidenden großen Schwester ließ sie sogleich wieder verstummen. So beschränkte sich der Austausch bei Tisch schließlich auf Mitteilungen wie: „Könnte ich wohl bitte noch ein paar Kartoffeln haben.“ oder „Würdest du mir bitte die Soße reichen“ und ähnliche lebensnotwendigen Äußerungen.

„So kann das nicht weitergehen!“ donnerte Vater und schlug mit der Faust auf den Tisch - allerdings erst, als Laura sich wieder in ihr Zimmer zurückgezogen hatte. „Aber was sollen wir denn tun?“ jammerte Mutter. „Wenn sie doch nun mal so leidet.“

„Warum holt ihr nicht Tante Friederike?“ schlug Benjamin vor.

„Aber Benni“, belehrte Katrin ihren kleinen Bruder. „Tante Friederike ist Kinderärztin. Erstens ist Laura kein Kind mehr. Und zweitens ist sie nicht richtig krank.“

„Nun ja“, meinte Mutter, „so schlecht ist die Idee vielleicht gar nicht. Schließlich hat Tante Friederike immer prima Ideen. Vielleicht weiß sie einen Rat.“

Tante Friederike wusste einen. Gerade als der arme Jens zum siebenunddreißigsten Mal an diesem Tag vergeblich versuchte, seine gekränkte Liebste zu erreichen, klingelte es an der Tür. Benni öffnete. Tante Friederike hielt sich nicht mit langen Erklärungen auf, sondern ging zielstrebig auf Lauras Zimmer zu, öffnete die Tür und trat - Lauras Protest ignorierend - ein.

Eigentlich ist es unfein, an Türen zu lauschen. Aber da alle zu gern gewusst hätten, was sich nun da drinnen tat, legten sie einträchtig das Ohr dagegen, während Benni durchs Schlüsselloch spähte.  

Laura lag leidend auf ihrem Bett. Das konnte Benni aus seiner Position zwar nicht sehen. Aber wo hätte sich Laura wohl in ihrem beklagenswerten Zustand sonst aufhalten könnten. Leider konnte er auch nicht sehen, dass Tante Friederike sich zu ihr ans Bett setzte. Hören konnte man leider auch so gut wie gar nichts. So gaben sie schließlich ihren Lauscherposten auf, bleiben aber in Alarmbereitschaft.

Laura hatte sich inzwischen vom Bett aufgesetzt und zog neugierig die Papierserviette auseinander, in die Tante Friederike etwas Federleichtes eingeschlagen hatte. Etwas enttäuscht schaute sie auf ein vertrocknetes kugeliges Etwas, das da zum Vorschein kam. Es sah aus wie ein Büschel hartes vertrocknetes Gras - so ähnlich jedenfalls. „Was soll denn das sein?“ fragte sie.

„Oh, das hab ich mal von meiner Oma bekommen, als es mir ebenso schlecht ging wie dir“, antwortete Tante Friederike.

Da wurde Laura hellhörig. „Ebenso schlecht. Ja, hattest du denn früher auch schon mal .. .eh … ich meine … !“

„Aber klar! Nicht nur einmal. Ich hatte ziemlich viel Ärger mit Jungs. Und dann ging es mir jedes mal entsetzlich schlecht.“

„Und dieses komische Ding da hat dir geholfen?“ meinte Laura skeptisch.

„Irgendwie schon“ lächelte Tante Friederike.

„Aber das muss doch schon uralt sein, wenn dir das deine Oma geschenkt hat. Meinst du, das wirkt überhaupt noch. Was macht man denn damit. Kocht man da irgendeinen Tee draus?“

„Wart’s ab!“ meinte Tante Friederike. Sie ging in die Küche. Und gleich war sie vom Rest der Familie umringt. Aber sie erzählte nichts, sondern bat nur um eine kleine flache Schale mit etwas warmem Wasser. Mutter erfüllte ihr diesen Wunsch. Und während Tante Friederike damit wieder in Lauras Zimmer verschwand, nahm Katrin seufzend den achtunddreißigsten Anruf von Jens entgegen.

Tante Friederike nahm das vertrocknete kugelige Etwas, das sie mitgebracht hatte, und legte es in das warme Wasser. Laura schaute ihr sehr skeptisch zu. Was auch immer da für ein Gebräu draus entstehen würde, sie würde das ganz gewiss nicht trinken.

Tante Friederike stellte die Schale ohne einen Kommentar beiseite auf den Tisch. Dann setze sie sich wieder zu Laura und ließ sich erzählen, was denn so Schreckliches passiert war.

Es dauerte über eine Stunde, bis Laura unter reichen Tränenfluten alles erzählt hatte. Tante Friederike hörte sich alles schweigend an, nickte hier und da verständnisvoll, schüttelte ab und zu nachdenklich den Kopf. Schließlich war die ganze Geschichte erzählt und der Tränenstrom versiegt.

Tante Friederike sagte immer noch nichts. Aber das war gut so, denn Laura hatte auf einmal ganz viel, worüber sie nachdenken musste. Und als sie fertig nachgedacht hatte, ging es ihr schon viel besser.

„Ich glaub, ich brauche deine komische Medizin gar nicht mehr“ meinte sie und schaute zu der Schale mit dem vertrockneten Ding. Aber dann riss sie die Augen auf. „Was ist denn das?“ rief sie. Denn das vertrocknete Ding hatte sich zu einer wunderschönen moosgrünen Rosette entfaltet.

„Das ist eine Rose von Jericho“ antwortete die Tante. „Das ist eine Wüstenpflanze. Die kann einige hundert Jahre alt werden. Und man kann sie immer wieder zum Blühen bringen. So wie ich das jetzt gemacht habe.“

Laura schaute lange auf die wunderschöne grüne Rosette.

Mitten in die Stille hinein schrillte das Telefon.
Laura sprang auf und lief zur Tür.
„Das wird Jens sein!“ rief sie und wie der Blitz war sie am Telefon.