Nach Jahren

Nach Jahren

Kleine Anmerkung:
Zwar erzähle ich gern in der Ich-Form. Meine Geschichten sind deshalb aber nicht biografisch zu verstehen.

Nach Jahren

© Gisela Baltes

 

“Fünfzig Jahre meiner Zeit nenn ich nun Vergangenheit ...” so begann eine Einladung, für die außer hundert Kilometern auch eine ganze Reihe von Jahren zu überwinden waren. Petra  hatte sie mir geschickt. Sie ist eine alte Schulfreundin, die ich aus den Augen verloren hatte, ebenso wie den Rest der damaligen Clique, der mit Sicherheit auch eingeladen war.

Mein Mann ließ sich bereitwillig davon überzeugen, dass die paar Kilometer lächerlich waren im Vergleich zu dem Lustgewinn, den das Wiedersehen mit meinen Jugendfreundinnen bringen würde. Also machten wir uns auf zur Reise in die Vergangenheit.

Petra entdeckte uns sogleich beim Hereinkommen und begrüßte uns herzlich. Sie hatte sich kaum verändert - immer noch das gleiche ansteckende Lachen. Ein Anflug der alten Vertrautheit kam auf.

Sie “reichte” uns an Beate weiter. Die einstens stets kühle und reservierte Beate war eine würdige Matrone geworden. Unser Gespräch drehte sich um den Kirchenchor der Gemeinde, in dem sie offenbar eine tragende Rolle spielte, bzw. sang. Außer der Bekundung, dass ich - zwar nicht in einem Chor - aber dennoch sehr gern singe, hatte ich nichts Fesselndes zu unserer Unterhaltung beizutragen. So reichte sie mich weiter an Anne.

Anne, die früher ein Mauerblümchen gewesen war, hätte ich fast nicht erkannt. Schick sah sie aus und stellte uns ihren ausgesprochen gut aussehenden Mann vor. Während die beiden Männer rasch gemeinsame Interessen gefunden zu haben schienen, zeigte Anne mir stolz die Fotos ihrer drei wohl geratenen Kinder. Ich hatte natürlich wie üblich vergessen, mir Fotos einzustecken. Aber das war auch nicht nötig, denn Anne kramte noch weitere Bilder hervor, die sie ausführlich kommentierte. Als das Bildmaterial ausging, wechselte ich zu Susanne.

Susanne war noch genauso charmant und reizend wie früher. Sie hatte sich früh verheiratet und war - wie ich - in eine andere Stadt gezogen. Obwohl wir beide damals keinen sonderlich engen Kontakt hatten, unterhielten wir uns eine ganze Weile sehr angeregt und fanden viel Grund, gemeinsam zu lachen.

Die Tischordnung sah vor, dass wir beim Essen mit Ulrike und ihrem Mann zusammensaßen. Uli war die jüngste und aufmüpfigste unserer Gruppe gewesen und im Kampf gegen irgendwelche Ungerechtigkeiten immer die wildeste Mitstreiterin. Ihrem beeindruckend klugen Mann war aber die Zähmung der Widerspenstigen schrecklich gut gelungen. So tauschten wir mit den beiden beflissen und freundlich unsere Daten aus: Berufe, Engagement in Kirche und Gesellschaft, Alter und Studiengänge unserer Kinder, Wachsen und Gedeihen unserer Hunde - bis Hilde uns erlöste, indem sie sich ein bisschen an unseren Tisch setzte.

Da kamen wir Frauen richtig in Schwung mit “Stellt Euch vor, was ich über die Mechthild gehört habe ...” und “Erinnert ihr euch noch an den Vater vom Kalle ...” und ... und ... und ...

Bevor wir wieder heimfuhren, saß ich noch für ein paar Minuten allein mit meiner alten Freundin Petra zusammen. Wir beide hatten uns schon ziemlich leergeredet und erzählten uns träge noch dies und das, nichts Wesentliches - was man sich eben so erzählt, wenn man sich nichts mehr zu sagen hat.