Marta

Marta

Kleine Anmerkung:
Zwar erzähle ich gern in der Ich-Form. Meine Geschichten sind deshalb aber nicht biografisch zu verstehen.

Marta
Eine alte Geschichte - neu erzählt

© Gisela Baltes

 

Da saß sie, verheult, mit verquollenen Augen und starrte auf den Herd, auf dem sich der köstliche Hammelbraten immer mehr in eine schwarze verkohlte Masse verwandelte. Der beißende Rauch brannte in ihren Augen. Aber sie hatte schon soviel geweint, daß gar keine Tränen mehr da waren.

Die draußen im Garten schienen nichts zu bemerken. Offenbar zog der Rauch in die entgegengesetzte Richtung. Ab und zu erkannte sie die Stimme ihrer Schwester, manchmal auch die ihres Bruders oder der anderen. Aber es war hauptsächlich seine Stimme, die sie hörte. Wie stets konnte sie die Worte nicht ge­nau verste­hen. Nur der ruhige warme Klang wehte zu ihr herüber.

Und diese vertraute Stimme war eben ganz hart und fremd geworden, als er sie vor allen zurechtgewiesen hatte. Wie hatte er das tun können? Wie hatte er ihr das antun können? Zum ersten Mal in ihrer langen Freundschaft hatte er ein­deutig Stellung gegen sie bezogen und sich gleichzeitig, was noch mehr schmerzte, gegen sie auf die Seite ihrer Schwester gestellt.

Warum hatte sie sich auch beklagen müssen? Vielleicht lag es an der Geschichte, die er gleich zu Anfang erzählt hatte. Er liebte solche kleinen Beispielgeschichten. Er erzählte von ei­ner Frau, deren Haus immerzu gleich ordentlich, sauber und aufgeräumt war, einer Frau, die innerlich wie tot war, die langweilig war, keine Ideen mehr hatte. Auch wenn sie wußte, daß er nicht sie gemeint hatte - er hätte sie niemals absichtlich derart verletzt - hatte sie sich betroffen gefühlt.

Ob er wohl auch nur ahnte, welche Mühe es gekostet hatte, das Haus während der acht Tage, die er auf sich hatte warten lassen, so sauber, so frisch und angenehm zu halten? Ihre beiden Geschwister waren ihr da keine große Hilfe. Ihre Schwester, so liebenswert sie auch war, hatte die üble Angewohnheit, ihre Sachen überall zu verstreuen, und der Bruder trug dauernd von draußen Schmutz mit herein. Aber sie war bereit gewesen, die ganze Zeit. Immer war alles sauber und einladend gewesen, immer hatte ein Topf mit gutem Essen auf dem Feuer gestanden. Tag für Tag hatte sie ihn erwartet. Und dann war er gekommen und hatte ausgerechnet diese dumme Geschichte erzählen müssen.

Und dann hatten sich alle wie üblich draußen in den Garten gesetzt. Und während er erzählte und die anderen ihm zuhörten, dachte niemand daran, daß auch sie sich gern mal dazugesetzt hätte, weil auch sie seine Geschichten liebte wie alles, was er sagte. Auch ihre Schwester war gar nicht auf die Idee gekommen, ihr mal ein bißchen zu helfen, damit sie schneller fertig würde. Wie selbstverständlich hatte man ihr wieder die ganze Arbeit allein überlassen.

Und da hatte sie eben die Beherrschung verloren, war hinaus gegangen und hatte etwas getan, was sonst gar nicht ihre Art war. Sie hatte sich bitter beklagt. Und er hatte ihr nicht etwa Recht gegeben. Nein, er hatte ihre Schwester auch noch in Schutz genommen.

Und nun saß sie hier, total verheult, und empfand eine wilde Genugtuung dabei, wie ihr Braten verkohlte, die köstliche Suppe verkochte und anbrannte, und wie der beißende Qualm ihre ganze schöne Ordnung mit häßlichen grauen Schwaden verhüllte.

Und endlich hörte sie, wie die Stimmung sich draußen veränderte. Aus dem ruhigen Gespräch war das übliche hungrige Gemurmel geworden, mit dem sie sich nun alle dem Haus näherten.

Maria trat als erste ein. "Im Himmels willen, was ist denn hier pas­siert" rief sie und krauste ihr hübsches Näschen. Sie wollte den Raum sogleich wieder verlassen, aber die anderen drängten nach, und einer nach dem andern kam herein. So stürzte Maria voll Eifer an den Herd, und versuchte den verkohlten Braten vom Feuer zu ziehen, so als wäre da noch etwas zu retten. Aber da war nichts mehr zu retten. Der Braten war hin. Die Suppe war hin. Alles war verdorben.

"Ach, dann müssen wir uns eben mit Brot und Käse und Wein begnügen!" rief Maria fröhlich und scheuchte die anderen munter wieder hinaus. Sie kümmerte sich gar nicht um ihre Schwester, sondern organisierte mit Eifer ein improvisiertes Mahl. Und bald saßen alle draußen und aßen und lachten und schienen sie ganz vergessen zu haben.

Nicht alle. Einer war nicht mit hinaus gegangen. Einer stand nachdenklich mitten in dem verräuchterten Raum. Sie hatte es gar nicht bemerkt. Erst als er sich räusperte, blickte sie auf und sah ihn da verlegen und unschlüssig stehen.

Schließlich ging er zum Herd, wo noch immer die Töpfe mit den verdorbenen Speisen standen.

Er nahm sich einen Lappen: "Meinst du, wir kriegen das zusammen wieder in Ordnung?"

Und dann schrubbten und scheuerten und wischten sie gemeinsam, bis alles wieder blitzblank war.

Und dabei sprachen sie über alles mögliche. Und am Ende war nicht nur die Küche wieder in Ordnung.