Dampf ablassen
I.
Ihr lieben Leute, hört mir zu!
Mein Weib das läßt mir keine Ruh!
Die Frau nervt mich von früh bis spät,
daß es auf keine Kuhhaut geht.
"Du rauchst zuviel, du trinkst zuviel,
verpraßt das Geld beim Kartenspiel.
Im Fernsehn siehst du jeden Käse,
obwohl ich gern in Ruhe läse.
Machst bei Frau Schmidt den Strahlemann,
und siehst mich dafür kaum noch an.
Ich merke deutlich jedesmal,
wie ich mich fühl, ist dir egal."
So meckert sie den ganzen Tag,
daß ich das kaum noch hören mag.
Und dauernd stört der alte Besen
mich dann auch noch beim Zeitunglesen.
II.
Ihr guten Leute, hört mich an.
Denn ich hab einen stummen Mann.
Der arbeitet in einem fort.
Mit mir spricht er kaum noch ein Wort.
So kommt's, daß ich mich viel beschwere,
damit ich überhaupt was höre.
Doch meist sagt er nur "Ach" und "Oh",
und wenn es hoch kommt, fragt er "So?"
Das Zeitunglesen ist ihm heilig,
wenn ich was sag, stört ihn das freilich.
Doch sprechen kann mein Gatte schon:
mit Hinz und Kunz am Telefon.
Meist merkt er gar nicht, was ich will,
hat viel Verstand, doch kaum Gefühl.
Ich suche Nähe, er Distanz.
So gräm ich mich, ich dumme Gans.
III.
Ihr tut mir beide schrecklich leid.
Dabei seid Ihr doch sonst gescheit.
Versucht es doch mal andersrum:
Er redet mehr, sie bleibt mehr stumm.
Vielleicht würd' es auch besser passen,
er zeigt Gefühl, sie bleibt gelassen.
Und falls sie bliebe etwas ferne,
sucht er dann ihre Nähe gerne.
Wenn jeder an den anderen denkt,
dann ist bald alles eingerenkt
und jeder Streit alsbald geschlichtet.
Dann hab ich jetzt genug gedichtet.
© Gisela Baltes