Wölfin im Schafspelz
Wölfin im Schafspelz, außen freundlich und nett,
kuschelweich, pflegeleicht, brav und adrett,
wolliges Weiß mit zehntausend Löckchen,
am Halse klingelt ein liebliches Glöckchen.
Außen ein harmloses friedliches Bild,
inwendig böse und garstig und wild.
Außen vernünftig und einsichtsvoll,
innen verrückt und gefährlich und toll.
Möchte nicht länger Schaf sein,
nicht mehr ängstlich und brav sein,
nicht mehr lammfromm und dämlich.
Das stinkt mir nämlich.
Ich wünsch mir schon lange endlich mehr Mut,
um mich kräftig zu wehren, wenn mir jemand was tut.
Warum bin ich bloß immerzu so entsetzlich
furchtsam und feige und schrecklich verletzlich?
Möchte kratzen und beißen
und das Schaffell zerreißen.
Möchte toben und schrei'n,
nie mehr angepasst sein.
Schaut selbst unter den Schafspelz!
Doch schaut genau hin!
Steckt da eine Wölfin
oder vielleicht doch nur ein Schaf drin?
© Gisela Baltes