Vor dem Spiegel der Zeit
Aus dem Spiegel
blickt mich das Gesicht
der Frau von heute an.
Und dahinter sehe ich
all meine Gesichter von früher.
Ich sehe das wohlerzogene Kind,
das so unglaublich naive,
und tapfer verständige,
gläubig und fromme
Geschöpf seiner Mutter.
Sehe das ach so wohlbehütete Mädchen
mit den sehnsüchtigen Augen
und den unschuldigen Träumen,
das so schüchtern und keck
dem ersten vertraute,
dem besten.
Sehe die langsam erwachsende Frau,
die Mutterfrau mit den Kindern,
die zäh kämpfende, friedliche,
glückliche, traurige
Steh-auf-Mädchen-Frau.
Seh mich im Spiegel gestern wie heute:
manchmal verbogen und doch nicht zerbrochen,
angegriffen, doch noch nicht besiegt,
oft verletzt und doch immer noch heil,
ein paar Falten, ein paar graue Haare,
die neue, die alte, die's immer noch gibt.
© Gisela Baltes