Angeklagt

Angeklagt

Angeklagt

 

Frau S. stand einmal im Traum vor Gericht

und hörte, wie der Staatsanwalt vortrug:

„Zu Recht wird die hier anwesende Rita S.

angeklagt, eine Christin zu sein.

Sie wurde getauft, ging zur Erstkommunion,

wurde gefirmt und hat kirchlich geheiratet.

Sie besucht manchmal den Gottesdienst.

Und nicht zu vergessen:

Sie zahlt immer noch Kirchensteuern.“

 

Der Verteidiger hielt dagegen:

„Als meine Mandantin getauft wurde,

war sie gerade sechs Wochen alt,

zur Erstkommunion ging sie mit acht Jahren,

gefirmt wurde sie mit dreizehn.

Also war sie in keinem der Fälle strafmündig.

Bei der kirchlichen Trauung handelte es sich

eindeutig um Brauchtumspflege.

 

Nun gut, sie geht hin und wieder zur Kirche.

Aber sonst kann man ihr wirklich nicht vorwerfen,

ihren Glauben zu praktizieren.

Und was die Kirchensteuer angeht -

die ist für sie eine Art Absicherung.

Man kann ja nie wissen. Aber eigentlich

ist sie innerlich schon längst ausgetreten.

Ich beantrage daher, die Klage abzuweisen.“

 

Das Urteil wurde noch nicht gefällt,

da Frau S. aufgewacht ist.

 

© Gisela Baltes